30 Jahre soziale Verantwortung. Gemeinsam für Chemnitz

30 Jahre soziale Verantwortung. Gemeinsam für Chemnitz

Seit 30 Jahren arbeiten im Rahmen der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Chemnitz die regionalen Vertretungen der Wohlfahrtsverbände zusammen. Den Startschuss gab am 17.12.1990 der Runde Tisch der freien Träger. Daraus ergab sich eine rasche Intensivierung der Zusammenarbeit. Sozialpolitische Initiativen wurden auf den Weg gebracht und regelmäßige Gremien etabliert. Gemeinsames Ziel war und ist die anwaltliche Vertretung benachteiligter Menschen und die Mitgestaltung der Sozialpolitik in unserer Stadt im Sinne aller, die Unterstützung benötigen.

 

Anlässlich des Jubiläums schaut Karla McCabe, Geschäftsführerin des Stadtmission Chemnitz e.V. und derzeitige Sprecherin der Liga, zurück auf die bisherige erfolgreiche Zusammenarbeit, auf die Entwicklung der sozialen Arbeit aber auch auf zukünftige Herausforderungen:

 

 

Seit 30 Jahren arbeiten die regionalen Wohlfahrtsverbände zusammen. Was bedeutet LIGA und wie funktioniert die Zusammenarbeit?


Liga in Chemnitz ist etwas ganz Wertvolles. Mir sind wenige Regionen bekannt, wo diese Zusammenarbeit trotz der Wettbewerbssituation, in der wir uns natürlich befinden, so intensiv und kooperativ stattfindet. In erster Linie sind es die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, die sich regelmäßig treffen und sehr strukturiert die aktuellen Themen der Wohlfahrt miteinander bearbeiten, um Positionen streiten und gemeinsame Stellungnahmen gegenüber unserem wichtigsten Partner verfassen, der Stadt Chemnitz. Oft genug sprechen wir dort mit einer Stimme und sparen unserem Gegenüber auch Abstimmungsprozesse mit den einzelnen großen Wohlfahrtsverbänden vor Ort. Das ist nicht nur ökonomisch, sondern auch unsere besondere Stärke: die Liga in Chemnitz ist nicht so leicht auseinanderzudividieren und tritt streitbar auf im Interesse der Menschen, die im Zentrum unserer Arbeit stehen.


Das ist aber nicht alles: gerade in den letzten Jahren haben wir gemeinsame Aktionen aus der Taufe gehoben, die inzwischen auch öffentlich wahrgenommen werden: unsere Pflegeaktion im Frühjahr, die leider durch Corona ausfallen musste, unsere Aktion Kita und unser gemeinsamer Wohlfahrtslauf: das zeugt von viel Engagement auf Arbeitsebene. Übrigens in Arbeitsgruppen, die bunt gemischt Menschen aus den Wohlfahrtsverbänden der Liga zusammenführen. Das ist schon etwas ganz Besonderes.

 

 

Welche besonderen Themenstellungen gab es in der Vergangenheit?


Ich selbst bin seit 2015 dabei, insofern könnten die Kolleginnen und Kollegen, die schon viel länger in Chemnitz tätig sind, hier sicher besser Auskunft geben. Fakt ist aber: jedes aktuelle, sozialpolitische Thema, das auf die Tagesordnung kommt, wird früher oder später auch Thema der Liga. Die Tatsache, dass wir breit aufgestellt sind und faktisch die gesamte Palette sozialer Dienste anbieten, heißt natürlich auch, dass wir uns mit allen Aufregern befassen müssen. Das geht von Sparmaßnahmen in der Jugendhilfe über die gute Positionierung der Altenhilfe in unserer Stadt über 100 Einzelthemen, die in unserer Arbeit selbst oder in den politischen Gremien und Verwaltungsgremien der Stadt aufgerufen werden.

 

 

Was sind aktuell die größten Aufgaben für die Liga?


Ganz klar: Dynamisierung der Fördermittel im sozialen Bereich der Stadt Chemnitz, also im Jugendamt, Sozialamt und Gesundheitsamt. Wir als große und renommierte Wohlfahrtsunternehmen zahlen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern faire Tarife für gute Arbeit. Die muss im allgegenwärtigen Fachkraftmangel auch gewürdigt werden. Wenn Budgets nicht oder nicht angemessen erhöht werden und die Schere zwischen tariflicher Bezahlung, an die wir natürlich gebunden sind, und Förderbeträgen immer weiter aufklafft, dann wird das Prinzip der Subsidiarität dauerhaft unterminiert, weil wir nicht mehr konkurrenzfähig sind. In der Folge werden wir aber auch einen Qualitätsabfall feststellen müssen, den wir unbedingt vermeiden wollen. Liga gehört in die soziale Landschaft der Stadt Chemnitz. Und Liga braucht selbstverständlich ordentliche Bezahlung. In der schwierigen Corona-Zeit waren wir dankbar, dass die Stadt Chemnitz sich klar zur Weiterfinanzierung der beauftragten Dienste im sozialen Bereich bekannt hat. Im Gegenzug haben wir dieses drängende Thema hintenangestellt. Deshalb ist es aber nicht verschwunden, sondern bleibt genauso brisant: das muss zeitnah wieder auf die Tagesordnung, ohne Wenn und Aber.

 

 

Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?


Was die Liga angeht, bin ich zuversichtlich, dass wir auch und gerade in einem rauer werdenden Sozialklima zusammenstehen und der These, „Gemeinsam sind wir stärker“, gerade im Sinne unserer Klientel, gerecht werden. Ich habe keinen Zweifel, dass das in der jetzigen Konstellation der Liga-Unternehmen gelingt.

 

 

Personalgewinnung ist ein bedeutendes Thema für Unternehmen. Ist der Fachkräftemangel in Chemnitz spürbar?


Definitiv. Obgleich natürlich je nach Qualifikation und Aufgabenbereich in ganz unterschiedlicher Ausprägung. Insbesondere die Altenpflege, die ja erst neuerdings beklatscht wird, bis dato aber eher das Schmuddelkind in der öffentlichen Wahrnehmung war - man denke an die vielen „Enthüllungsbücher“, die den Eindruck erweckt haben, dass man faktisch jeden Beruf wählen kann, außer Altenpflege. Zudem die jahrelang sehr restriktive Haltung der sächsischen Pflegekassen bezüglich der tarifgerechten Vergütung der Pflege. Das rächt sich jetzt. Wir freuen uns sehr über die aktuelle Wertschätzung dieses Arbeitsbereiches, hoffen aber, dass sich dies verstetigen lässt und kein „Corona-Strohfeuer“ bleibt. Nicht minder wichtig ist das Thema Erzieherinnen und Erzieher in unseren Kitas.

 

 

Wie lässt sich dem Fachkräftemangel nachhaltig begegnen? Was tut die LIGA?


Unser Ziel ist, positive Außenwahrnehmung zu schaffen, nicht nur für unsere Unternehmen, sondern auch als attraktive Arbeitgeber. Nicht zuletzt arbeiten wir hier mit der CWE zusammen und entfachen das Jahr über eine ganze Reihe von Aktivitäten der einzelnen Unternehmen, um Fachkräfte zu finden. Nicht zuletzt unser Pflegetag schafft Öffentlichkeit und Interesse. Letztendlich stehen wir aber immer eben auch für tarifliche Bezahlung, die sich von der alternativen Branchenstrategie absetzt, die Geld mit Immobilien verdient, statt es in Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu investieren. Da haben wir eine klare Haltung.

 

 

Sozialen Berufen wird ein Identitätsstiftendes Element nachgesagt. Was macht das Arbeitsfeld der Wohlfahrtspflege besonders?


Liga operiert in einem Markt, der nicht weicher und nicht schonender ist, als jeder Markt mit Wettbewerb. Was uns unterscheidet, ist, dass wir Gemeinnützigkeit nicht nur im Unternehmenstitel tragen, sondern diese schon in gesellschaftsrechtlichen Strukturen leben dürfen: unsere Erträge fließen nicht an anonyme Investoren ab, sondern verbleiben in der Stadt Chemnitz und bei den Menschen vor Ort, die uns brauchen. Das ist aus meiner Sicht wahre Nachhaltigkeit und Investition in die Stadt Chemnitz. Darüber hinaus wissen wir ja, dass viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Überzeugungstäter sind: sie haben ihre Berufe ganz bewusst gewählt, um andere Menschen zu unterstützen und weil sie Freude daran haben, zu helfen. Wenn das nichts ist!

 

 

Die Liga sieht sich als Anwalt für benachteiligte Menschen. Wo drückt der Schuh am meisten?


Wo fange ich da an? Viele unserer Unternehmen sind wahrhaft traditionsreich. Die Stadtmission selbst hat gerade im letzten Jahr ihr 150-jähriges Jubiläum gefeiert, die AWO vor einer Weile das 100-jährige und selbst die jüngsten Verbände gibt es mindestens seit nach dem Krieg. Und genauso lange, wie unsere Unternehmen am Start sind, gibt es auch schon benachteiligte Menschen, für die wir uns einsetzen. Soll heißen: es war immer so und wird immer so sein, dass die, die keine Stimme haben, Fürsprecher brauchen. Das sind in Chemnitz Menschen ohne Wohnung, genauso wie Familien in prekären Lebenssituationen, Kinder und Jugendliche, die von ihren überforderten Familien orientierungslos ins Leben geschickt werden und mehr und mehr ja auch Senioren, die von ihrer Rente nicht mehr leben können. Die Themen werden uns also nicht ausgehen.

 

 

Der Pflegebereich erfuhr in den letzten Wochen hohe Aufmerksamkeit, Probleme wurden deutlich. Wie schätzen Sie die Pflegesituation für Bürger ein?


Ich denke, die Pflegesituation in Chemnitz ist nicht so prekär wie in einigen anderen Ballungsräumen. Obwohl in der Presse viel geschrieben wird, zum Beispiel zum Thema hohe Pflegekosten, muss man es, denke ich, durchaus wertschätzen, dass wir in einem Land leben, in dem man sich auch als Sozialhilfeempfänger sein Pflegearrangement selbst auswählen kann. Ich glaube, vielen von uns ist nicht bewusst, was für ein Privileg das ist. Da muss man nicht weit weg gehen: der Blick ins europäische Ausland reicht aus. Nichtsdestotrotz wird der Pflegebedarf in der Bevölkerung demographisch bedingt natürlich noch zunehmen und auch der Fachkraftmangel hat seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. Insofern wird das weiter ein Thema sein, an dem wir ständig eng dranbleiben müssen, um gute Bedingungen für die Chemnitzerinnen und Chemnitz anzubieten.

Mit der Stadt Chemnitz, insbesondere mit dem Sozialamt, verbindet uns hier eine sehr kooperative und lösungsorientierte Zusammenarbeit. Dafür sind wir dankbar.

 

 

Muss man Angst haben, sich Pflege nicht leisten zu können?


Das hängt sicherlich von der persönlichen Situation ab. Viele Bürger haben nicht nur Angst, sondern sind bereits in dieser Situation. Allerdings auch hier halte ich persönlich nichts von pauschalen Verteufelungen. Ich bin dankbar, in einem Land zu leben wo, wo es über den Sozialhilfeanspruch und die freie Wahl des Pflegearrangements noch die Möglichkeit gibt, nach eigenen Wünschen gut versorgt zu werden und das ohne Klassengesellschaft. Das ist nicht selbstverständlich. Allerdings ist auch klar: die mit Gründung der gesetzlichen Pflegeversicherung politisch induzierte Erwartungshaltungen, es könne eine Pflegeversicherung geben, die das gesamte persönliche Lebensrisiko abdeckt, waren immer unrealistisch und gerade jetzt wird eine Generation pflegebedürftig, die aufgrund ihrer Altersstruktur und ihrer Einkommensverhältnisse gar nicht die Chance hatte, privat vorzusorgen für den Pflegefall. Das kann man Menschen, die jetzt hochaltrig sind, ja nicht vorwerfen, das wäre perfide. Wenn man schaut, wofür in Deutschland alles Geld ausgegeben wird, kann ich mir aber auch sehr gut vorstellen, dass die Pflegeversicherung durchaus auf andere Finanzierungsfüße gestellt werden könnte. Dafür kämpfen wir seit Jahren.

 

 

Wie sehen soziale Einrichtungen und die Arbeit der gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände im Jahr 2050 aus?


Diverser. Ausdifferenzierter. Ehrenamtlicher. Mit wesentlich hybrideren Finanzierungsstrukturen im Hintergrund.

 

 

Ehrenamt spielt eine wichtige Rolle für die Verbände. Wie hat sich die Bereitschaft, ehrenamtlich tätig zu sein, in den letzten Jahren entwickelt?


Ehrenamt ist ein wichtiges Standbein unserer Arbeit. Viele Ehrenamtliche leisten über viele Jahre in hoher Verbindlichkeit Arbeit ganz im Verborgenen. Das ist ein riesiger Schatz. Aber so wie ganz Chemnitz werden auch unsere Ehrenamtlichen älter, Demographie trifft uns alle. Eine große Herausforderung an unsere Liga-Unternehmen wird sein, junge Ehrenamtliche für Arbeitsfelder zu begeistern. Dass das möglich ist, steht außer Zweifel. Allerdings müssen wir uns anpassen: sind viele ältere, in der DDR aufgewachsene Chemnitzerinnen und Chemnitz noch bereit und in der Lage, ganz verbindlich und dauerhaft eine Aufgabe zu übernehmen, haben junge Menschen heute andere eigene Ansprüche auch an ein Ehrenamt. Durchaus eine Herausforderung, aber eine, die wir annehmen.

 

 

Gibt es besondere Erlebnisse, die Ihnen Ehrenamtliche berichten?


Die gibt es ständig. Wir müssen, glaube ich, nur noch besser werden, dass auch öffentlich zu kommunizieren. Gerade in der Corona-Zeit haben wir in allen Unternehmen einen vollkommen neuen Teamgeist festgestellt: Kleinigkeiten sind in Hintergrund getreten, viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Ehrenamtliche der Liga sind über sich hinausgewachsen, um die Situation für ihre Kolleginnen und Kollegen und für Klienten gut zu meistern und ertragbar zu machen. Teams sind näher zusammengerückt, Führungskräfte haben ihre Bewährungsproben bestanden. Keiner von uns will die Coronakrise wiederholt sehen, aber das sind tatsächlich positive Effekte aus einer besonders schwierigen Zeit. Wir wissen jetzt: wir sind auch dem Ernstfall gewachsen. Das macht stark und stolz.

 

 

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